Miguel de Torres, Schriftsteller (Werner Schubert)
Miguel de Torres wurde 1958 in Niederbayern geboren. Er arbeitete mehr als dreißig Jahre als EDV-Spezialist. Seit 2003 hat er mehr als 30 Bücher und Heftromane verfasst (u. a. für »Vampir Gothic« und »Star Gate - Das Original«). Heute lebt er mit seiner Frau in Thailand.
Ein Fantasy-Epos entsteht ...
Cover-Rohentwurf/Konzept: Stefan Böttcher, Gerlingen. Das fertige Cover zum Vergleich – siehe viel "weiter unten"
Nehmen Sie daran teil!
»Aufreißer«:
Miguel de Torres, Autor von vierzig Romanen, die er unter verschiedenen Pseudonymen verfasst hat, schrieb einen Fantasy-Roman, der nach Abschluss im Du-Lac-Verlag erschien. Auf seiner Autorenseite lässt er uns noch einmal teilhaben am Entstehungsprozess des Romans. In regelmäßigem Abstand schreibt er schonungslos und manchmal provozierend über Autorentypen und Zielgruppen, über die »Mythische Struktur« und die Erschaffung von Charakteren, über das »Malen mit Worten« und die tausend Entscheidungen, die ein Autor täglich treffen muss. Er schreibt ferner über Exposés, über erste Entwürfe und Überarbeitungen, über »plotting« und »line editing« und den Ärger mit unfähigen Lektorinnen, verständnislosen Verlegern und Knebelverträgen. Über das Urheberrecht, das den Verleger vor dem Autor schützt, anstatt umgekehrt. Und und und ...
1. Aller Anfang …
Lassen Sie mich mit einem Geständnis beginnen: Ich mag keine Zauberer, ich hasse Feen, und ich verabscheue Zwerge. Wenn Sie mich also unter der Voraussetzung, dass in dem entstehenden Fantasy-Roman weder Magier noch Feen noch Zwerge vorkommen, auf einer abenteuerlichen Reise ins Ungewisse begleiten wollen, sind Sie herzlich willkommen. Ich verspreche ferner, dass uns auf dieser Reise weder Vampire noch Zombies begegnen werden, nicht einmal ein klitzekleines Werwölfchen. Nur Menschen. Nicht unbedingt Menschen wie Sie und ich, denn die sind – mit Verlaub – in einem Roman ziemlich langweilig. (Zumindest in Bezug auf mich selbst kann ich das mit Fug und Recht behaupten.) Nein, es werden Menschen sein, die aus der Masse herausstechen, entweder durch ihre Fähigkeiten (geistiger oder körperlicher Natur), durch ihre Geschichte oder durch die Rolle, in die sie vom Schicksal gedrängt werden, weil sie sich zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort aufhalten – oder zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, wie herum auch immer man es sehen will. Menschen, die in jedem Fall wissen, was sie wollen, denn der Großteil des Leserpublikums interessiert sich nicht für »gebrochene Helden« und ihre inneren K(r)ämpfe.
Eine Reise ins Ungewisse wird es deshalb, weil ich zu dem Zeitpunkt, da ich dies schreibe, zwar eine konkrete Vorstellung vom Anfang sowie eine ungefähre Vorstellung vom Ende der Geschichte habe, der Weg dazwischen jedoch noch im Nebel liegt. Außerdem habe ich eine Handvoll interessanter Protagonisten, die die Handlung vorantreiben. Einige von ihnen werde ich im Lauf der nächsten Wochen hier auf meiner Autorenseite vorstellen.
Sehr wenige Romane werden komplett durchgeplant, bevor der Autor mit dem Schreiben beginnt. In der Tat gibt es zwei grundsätzliche Weisen des Herangehens, entsprechend der unterschiedlichen Autorencharaktere. In ihren Extremen sind das der »Planer« und der »Chaot« (oder der »Intuitive«, das klingt viel besser, bedeutet aber das Gleiche). Der Planer beginnt einen Roman niemals ohne einen zumindest groben Entwurf, der Personen- und Charakterbeschreibungen ebenso umfasst wie den Handlungsablauf, im Idealfall bis zum Finale. Dem Intuitiven ist so etwas ein Graus; er braucht seine künstlerische Freiheit, er will sehen, wohin sich die Charaktere entwickeln, er will selbst überrascht werden. (Natürlich ist nicht alles schwarz oder weiß; zwischen den genannten Extremen gibt es beliebig viele Schattierungen.)
Ich gehöre eindeutig zu den »Planern«, denn nur das Genie beherrscht das Chaos wirklich, und zu dieser sehr kleinen Personengruppe zähle ich mich nicht. Allzu oft enden Romane, die in einer Nacht geboren und begonnen wurden, im Desaster: angefangene, aber nicht abgeschlossene Handlungsfäden; Charaktere, die aus dem Nichts auftauchen und wieder dahin verschwinden; unausgegorene Ideen und verpasste Chancen. Dagegen spart eine detaillierte Planung viel Zeit, so unglaublich dies vielleicht für den einen oder anderen klingen mag. Es ist tatsächlich wie auf einer Reise. Wenn ich, sagen wir mal, mit dem Auto von Neapel nach Spitzbergen fahre, habe ich im Prinzip zwei Möglichkeiten. Erstens: Ich informiere mich vor Fahrtantritt über die schnellste bzw. (in meinem Sinn) »beste« Route, und benutze dann diesen Weg. Auch wenn es ein Weilchen dauert, ihn herauszusuchen, komme ich doch letztlich viel schneller an. Zweite Möglichkeit: Ich fahre einfach los, irgendwohin werde ich schon kommen, wenn nicht heute, dann vielleicht morgen, spätestens irgendwann … Da der Beruf des Autors aber einer der am schlechtesten bezahlten in dieser absolut nicht besten aller möglichen Welten ist, kann er sich die zweite Methode nur dann leisten, wenn er entweder Bestsellerautor ist oder sich eben nicht durch das Schreiben finanziert. Wer vom Schreiben leben muss, hat nicht die Zeit für Irrungen und Wirrungen. Er braucht ein Konzept, das »Hand und Fuß« hat (und alles, was dazwischen noch von Bedeutung ist), und dieses Konzept setzt er dann zügig um.
Und genau das ist es, was ich in den nächsten Wochen tun werde, in Ihrem Beisein (hoffe ich): ein Konzept für einen Fantasy-Roman zu erstellen und dieses dann umzusetzen. Nebenher erfährt der interessierte Leser einiges über das Schreiben von Romanen und Exposés, über Planung und Aufbau von Akten und Szenen, über die alltägliche Qual der Wahl und nicht zuletzt über den unvermeidbaren Ärger mit Verlegern und Lektoren und wie er (vielleicht) minimiert werden kann. Den wichtigsten Tipp für den angehenden Autor gebe ich gleich jetzt: durchhalten und auch die vielen Phasen schwärzester Verzweiflung überstehen! Am ersten Tag nach der Beendigung eines Romans mit dem nächsten beginnen, mit dem Vorsatz, dass dieser viel besser werde als der vorangehende! Denn von jenen Autoren (oder Sängern oder Schauspielern usw.), die scheinbar »aus dem Nichts« im Rampenlicht auftauchen, haben sich mindestens neunzig Prozent vorher jahrzehntelang in der Anonymität abgequält. Das Einzige, was sie in dieser Zeit aufrechterhalten hat, war die Hoffnung auf den »Durchbruch«. Und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Durchbruch erfolgt, ist umso höher, je länger man durchhält. (Und je mehr man dabei lernt. Das ist unabdingbar: der Wille zu lernen.) Wenn man aufgibt, war alles vergebens. (Aber natürlich gibt es keine Gewähr, dass der Durchbruch tatsächlich einmal kommt.)
Allerdings werde ich auf dieser Autorenseite nicht die komplette Handlung des entstehenden Romans darlegen; schließlich sollen noch genug Fragen offen bleiben, dass der eine oder andere Leser (lieber mehr als weniger) sich entschließt, den Roman zu kaufen. Wie war das doch gleich? Sagt der eine: »Nicht für Geld, sondern für die Ehre kämpfe ich!« Antwortet der andere: »Jeder kämpft eben für das, was er nicht besitzt.« Ehre bringt keinen Bissen Brot auf den Tisch, ganz zu schweigen von der Butter drauf oder gar dem Wiener Schnitzel nebst dem obligatorischen Weißbier.
Ich möchte diesen ersten Autoren-Eintrag keinesfalls schließen, ohne mich beim Du-Lac-Verlag und namentlich Klaus-Peter Hünnerscheidt zu bedanken für die doppelte Chance, die er mir geboten hatte: Zum einen, dass er zugesagt hat, einen Roman zu verlegen, von dem er noch nicht einmal den Titel kennt (ich übrigens auch nicht, nebenbei bemerkt). Und zum anderen für die Möglichkeit, ein größeres Publikum am manchmal ekstatischen, meist aber qualvollen Entstehungsprozess eines Romans teilhaben zu lassen. Viele Menschen – unter ihnen sogar manische Leseratten – scheinen nämlich eine völlig falsche Vorstellung vom Dasein eines Autors zu haben: Er steht gegen Mittag auf, dreht ein paar Runden in seinem gigantischen Swimmingpool (ehemaliger Genfer See) und legt sich dann in die Sonne, darauf wartend, dass ihn die Muße küsst. Wenn das geschieht – vielleicht einmal pro Jahr –, springt er auf, setzt sich an den Computer und lässt die Tasten rattern, bis nach ein paar Wochen der neue Bestseller fertig ist. Dann wartet er ein weiteres Jahr ... (Großer Seufzer: Schön wär’s!)
So viel für heute. Beim nächsten Mal sprechen wir über die »fantastische« Welt, in der sich die Romanhandlung abspielen wird. Ich würde mich sehr freuen, wenn ich Sie dann wieder begrüßen könnte, und vielleicht auch den ein oder anderen neuen Leser.
Bis dann also!
Miguel de Torres
2. Die Romanwelt
Sprechen wir vor allem anderen mal über die Zielgruppe. Ein Roman ist, nicht anders als Seife oder Klopapier, ein kommerzielles Produkt, das sich am Markt behaupten muss; viele Autoren scheinen dies nicht wahrhaben zu wollen. Und als solches braucht er eine Zielgruppe. In der Tat fragen viele Verlage nicht nur nach dem Exposé und einer Leseprobe, sondern auch nach der Zielgruppe, so dass man folgende Gleichung oder besser Ungleichung aufstellen kann:
keine Zielgruppe = kein Verlag = Hungertod
Die ideale Zielgruppe eines Buches ist die Gesamtmenge aller derzeit und in Zukunft lebenden Menschen, vermindert um die Gruppe der Analphabeten. (Die sind dann die Zielgruppe für das Hörbuch und natürlich die DVD mit der Hollywood-Verfilmung, aus der selbstredend alles, was irgendjemandem aufstoßen könnte, herausgewaschen wurde, bis nur der banalste aller Handlungsfäden übrig bleibt.)
Leider hat seit den Autoren der Bibel es niemand mehr geschafft, diese ideale Zielgruppe anzusprechen. (In der Tat sprachen diese sogar die Analphabeten an – vor allem die Analphabeten. Und das meine ich nicht nur sarkastisch: Vor allem das Alte Testament bietet gewaltige, einprägsame Bilder, an denen sich jeder Autor ein Beispiel nehmen kann.) Wir müssen uns also notgedrungen mit einer Untermenge der idealen Zielgruppe zufriedengeben: den Fantasy-Lesern natürlich, da wir ja einen Fantasy-Roman schreiben wollen, männlich und weiblich, Jung und Alt. Aber nicht nur diese, sondern im Prinzip alle, die gutes und spannendes Abenteuer schätzen, gleichgültig, ob es in einer Fantasiewelt, auf fernen Planeten oder in der Geschichte der Menschheit angesiedelt ist. Und abenteuerlich und spannend wird es, das kann ich versprechen. – Aber natürlich genügt es nicht, eine Zielgruppe nur zu deklarieren, man muss sie auch bedienen. Dazu später mehr.
Doch wir wollten heute ja über jene Welt sprechen, in der die Handlung des Romans stattfinden wird. Fantasy spielt sich in der Regel in urtümlicher, atemberaubender Landschaft ab, und die darin porträtierte Gesellschaft ist archaisch und oft analphabetisch, was offensichtlich einen Großteil des Reizes für die meisten Leser ausmacht: Die Handlung spielt in einer imaginären Zeit, als das Leben noch einfach und Männer noch Männer waren (und Frauen noch Frauen, das sollte auch mal gesagt werden). Imaginär ist diese Zeit deshalb, weil das Leben niemals einfach und unkompliziert war, seit die Affen von den Bäumen heruntergeklettert sind und einer den anderen gezeigt hat, wo’s langgeht. Fantasy – oder Abenteuer im Allgemeinen, und das schließt SF mit ein – ist modernes Märchen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Im besten Fall mit einer Moral und einer »Resonanz«: im Gedächtnis bleibenden Erkenntnissen über das Leben an sich, wie sie letztlich eben nicht wahre Geschichten, sondern nur Romane vermitteln können. Romane die »größer als das Leben« sind und deshalb, aus einer weiter gefassten Perspektive, einen neuen Blick auf dieses Leben erlauben. Ich werde versuchen, auch dies zu erreichen. Ob mir das gelungen ist, müssen Sie entscheiden, wenn Sie das Endprodukt lesen.
So, genug der Ab- und Ausschweifungen … Als gebürtigem, wenn auch ausgewanderten Bayern ist mir eine Welt ohne Berge unvorstellbar, weshalb es in der Romanwelt natürlich Berge geben wird. Außerdem liebe ich die Wüste; meiner Ansicht nach gibt es kaum eine archaischere Landschaft als die endlose Sand- und Steinwüste. Flüsse sind ebenfalls unabdingbar, als Existenzgrundlage für die Menschen ebenso wie als natürliche Transportwege. Damit haben wir bereits die drei Hauptelemente der Landschaft des Romans: zerklüftete Berge, sengende Wüste, reißende Flüsse in tief eingeschnittenen Tälern … Da die Berge in dieser Welt hauptsächlich aus Kalkstein bestehen, gibt es bizarre Formationen sowie Höhlen, die ebenfalls eine wichtige Rolle spielen werden. Mich persönlich haben Höhlengeschichten immer fasziniert, und ich weiß, dass ich damit nicht alleinstehe. Vielleicht ist das eine der Ursehnsüchte der Menschheit: die Rückkehr in die Geborgenheit des Mutterleibs. Aber Höhlen geben nicht nur Geborgenheit; man denke an den Grusel-Klassiker der Kindheit: Tom Sawyers und Beckys Flucht durch das Höhlensystem, verfolgt von Indianer-Joe ...
Die Gesellschaft ist eine weitgehend ländliche – Bauern und Viehzüchter –, und es gibt nur wenige Städte, darunter natürlich so etwas wie eine Hauptstadt. Allerdings ist die Gesellschaft zu Beginn des Romans im Umbruch begriffen, denn es herrscht Krieg. Wie allzu oft in der Geschichte der Menschheit (und auch heute noch) treibt die Gier Einzelner Hunderttausende in den Tod und Millionen in die Armut. Doch die Masse folgt ihren Führern, nicht notwendigerweise begeistert, aber sie folgt, aller Vernunft zum Trotz. Dies wird eines der dem Roman zugrundeliegenden Themen sein. (Darüber spreche ich im übernächsten Blogeintrag.)
Details der Landschaft stehen im Moment noch nicht fest, die ergeben sich erst bei der Planung der Handlung. Wenn es so weit ist, werde ich natürlich einige Karten zeichnen, unabdingbar für den Autor, um den Überblick zu behalten und sich nicht in Widersprüche zu verwickeln. Teilweise werde ich sie auch in diesem Blog veröffentlichen, aber erwarten Sie bitte keine kartographischen oder gar zeichnerischen Meisterwerke von mir. Beschriftete Skizzen reichen völlig aus.
(Anmerkung des Verlegers: Die fertige Karte ist vor Kapitel 9 abgebildet – Stephan Böttcher hat die Vorgaben des Autoren prägnant umgesetzt.)
So, nachdem wir eine ungefährliche Ahnung von der Geografie haben, in der sich der Roman abspielt, können wir eigentlich mit der Planung der Handlung beginnen. Hier gibt es prinzipiell zwei Herangehensweisen:
a) Handlungsgetrieben (»plot driven«)
Vereinfacht ausgedrückt: Man hat eine Grundidee, und die Handlung entwickelt sich aus derselben. (Beispiel: Über einer Stadt entsteht plötzlich ein Energieschirm, nichts geht mehr rein oder raus, Luft eingeschlossen ...) Die Charaktere werden dann so geschaffen, dass sie in diese Handlung passen. (Dies ist bei kommerziellen Romanen fast immer der Fall.)
b) Charaktergetrieben (»character driven«)
Am Anfang steht die Hauptperson mit ihren Charaktereigenschaften; die Handlung (ggf. ausgelöst durch einen – oft winzigen – äußeren Anstoß) ergibt sich dann aus diesem Charakter. (Hier sprechen wir von sog. »literarischen« Romanen, die jeder Gymnasiast aus endlosen Jahren quälenden Deutschunterrichts kennt.)
(Zwischenbemerkung: Wenn ich hier immer wieder mal englische Ausdrücke einstreue, dann deshalb, weil das meiste, was ich im Laufe des letzten Jahrzehnts über das Schreiben gelernt habe, aus englischsprachigen Büchern stammt. Über deutschsprachige Bücher zu diesem Thema weiß ich leider nichts Gutes zu sagen.)
Wie meist ist dabei nicht alles schwarz oder weiß, sondern irgendwo dazwischen. Wenn ich einen Roman habe, der nur aus Handlung oder besser gesagt »action« besteht, ist dieser oft bevölkert von dämlichen Menschen, die dämliche Dinge tun. Lese ich beispielsweise einen Roman von James Rollins, habe ich frühestens nach der Hälfte der 500 Seiten Zeit dazu, mir die Frage zu stellen: Mein Gott, warum liest du so einen Müll? Antwort: Weil er spannend ist. Und manchmal (aber nur manchmal) lese ich trotzdem weiter.
Das andere Extrem sind die »literarischen« Romane. (Ich setze »literarisch« grundsätzlich in Anführungszeichen, weil ich diese künstliche Trennung, die es so z. B. in den USA nicht gibt, nicht anerkenne. Hat ja wohl einen Grund, warum die meisten Bestseller aus den USA und nicht aus Deutschland kommen, von der Marktmacht der US-Verlage mal abgesehen.) Sie haben oftmals keinerlei äußere Handlung. Tja, wem so was gefällt ... der ist in jedem Fall in der Minderzahl. Und wer Bücher verkaufen will, sollte von solchen Ideen schnell Abstand nehmen.
Die beste Lösung ist wieder einmal der Mittelweg: »Starke Charaktere« sind in der Regel nicht das Salz, sondern die Essenz einer Geschichte, das ist nicht wegzuleugnen. Wenn diese aber nur mit sich selbst beschäftigt sind, vielleicht gar wehleidig, verliert der Leser schnell das Interesse, setzt eine miese Kritik bei Amazon rein, und das ist dann das Ende aller Hoffnungen, die man in vielen Monaten harter Arbeit an dem Roman aufgebaut hat. (Jeder Affe mit Tastatur darf das ja heutzutage, auch wenn er pro Satz fünf Rechtschreib- und Grammatikfehler macht und weder »Sie« und »sie« noch »das« und »dass« auseinanderhalten kann.) Schlussfolgerung: Die (äußere) Handlung muss spannend sein, das ist wichtig, aber nicht minder wichtig sind starke, unvergessliche Charaktere mit einem interessanten Hintergrund, die nicht nur ein Ziel haben, sondern auch wissen, wie dieses zu erreichen ist. (Oft wird dieses Ziel erst im Laufe der Handlung definiert, das ist okay.) Wobei die »physische Ausstattung« des Helden im Roman viel weniger wichtig ist als im Film. Aber da greife ich bereits vor.
Eigentlich sollten wir nun die wichtigsten Hauptfiguren planen, doch will ich im nächsten Blogeintrag aus verschiedenen Gründen erst einmal über die »Mythische Struktur« sprechen, oder wie man in null Komma nichts einen funktionierenden Handlungsrahmen schafft.
Bis dann!
Miguel
3. Die Mythische Struktur
Sie hocken vor dem Computer, die Finger zwischen Sitzfläche und Oberschenkeln, und wissen nicht, was Sie schreiben sollen? Sie haben eine Idee, die Ihnen genial erscheint (und jede Romanidee sollte zumindest dem Autor genial erscheinen), aber Sie wissen nicht, wie Sie diese Idee in einen Roman umsetzen?
Probieren Sie’s mal mit der sogenannten »Mythischen Struktur«! Diese stellt sich folgendermaßen dar:
1. Akt
1.1 Der Leser wird in die Welt des Helden eingeführt.
1.2 Der »Ruf des Abenteuers« oder eine wie auch immer geartete, von außen kommende »Störung« (initial disturbance) unterbricht das Dasein des Helden.
1.3 Der Held könnte nun diese Störung ignorieren. Tut er es, ist der Roman beendet ;-) Aber wenn er die Störung nicht ignoriert, sollte er gute (persönliche) Gründe dazu haben.
1.4 Der Held »überschreitet die Schwelle«. Von nun an gibt es kein Zurück mehr für ihn (engl. point of no return, manchmal auch als First Doorway bezeichnet).
2. Akt
2.1 Der Held findet einen Mentor, der ihn lehrt und leitet.
2.2 Diverse Begegnungen mit den »Mächten des Bösen« (wie auch immer geartet).
2.3 Der Held hat einen »dunklen Moment«, einen dramatischen Konflikt in seinem Inneren, den er bewältigen muss.
2.4 Ein Talisman hilft dem Helden.
2.5 Etwas geschieht, das den »Endkampf«, die finale Konfrontation, unausweichlich macht (engl. Second Doorway).
3. Akt
3.1 Die letzte Schlacht.
3.2 Der Held kehrt in seine Welt zurück.
(Zitiert u. a. nach: James Scot Bell: Plot & Structure, Writer’s Digest Books 2004. Übrigens ein höchst empfehlenswertes Buch, gute Englischkenntnisse vorausgesetzt.)
Das war’s. So einfach.
Die Mythische Struktur funktioniert immer, vom SF-Epos über den Western bis hin zum Katzenroman. Letzteres habe ich selbst bewiesen, Ersteres George Lucas mit seinem ersten Star-Wars-Film, der eine glasklare Implementation der Mythischen Struktur darstellt. (Für die Ausgestaltung des Skeletts, das die Mythische Struktur darstellt, hat er sich bei Akira Kurosawas Die verborgene Festung [1958] bedient, allerdings erheblich subtiler, als Sergio Leone das bei einem anderen Film des japanischen Starregisseurs gemacht hat, nämlich Yojmbo – Der Leibwächter [1961]. Für eine Handvoll Dollar [1964] ist praktisch eine 1:1-Umsetzung des Samuraifilms. Da damals niemand glaubte, dass der Italowestern ein großer Erfolg würde, sah man davon ab, Kurosawa mit einer Anfrage zu den Neuverfilmungsrechten zu belästigen … Aber irgendwann bemerkte er es doch, und man kam zu einer Übereinkunft. Angeblich soll Kurosawa mit Für eine Handvoll Dollar mehr Geld gemacht haben als mit all seinen japanischen Filmen zusammen.)
Wenn Sie das nächste Mal ein Buch lesen, fragen Sie sich mal, ob dieses die Mythische Struktur ganz oder zumindest teilweise implementiert. In erstaunlich vielen Fällen ist die Antwort ein eindeutiges »Ja«! Woher kommt das? Kennen bzw. kannten all diese Autoren die Theorie der Mythischen Struktur, deren Formulierung i. A. Joseph Campbell (1904-1987) zugeschrieben wird?
Durchaus nicht. Diese Mythische Struktur ist in uns selbst, sie ist das Resultat von mehr als fünf Jahrtausenden des Geschichtenerzählens, angefangen nicht erst bei der Odyssee. Unser Leben ist von klein auf angefüllt mit Geschichten, die wir lesen oder im Fernsehen oder Kino sehen und die alle bestimmten Mustern folgen. Die Mythische Struktur ist für mich das literarische Äquivalent zum Goldenen Schnitt in Architektur und Malerei: pure Ästhetik, die rational (oder gar mathematisch) nicht erklärbar ist, weil sie im Wesen des Menschen verankert ist. Und dieses ist immer noch ein Mysterium, Gott sei Dank ...
Noch eine Anmerkung: Die drei Akte, in die ich die Mythische Struktur oben aufgeteilt habe, erheben sich ganz von selbst. Anstelle von »1. Akt, 2. Akt, 3. Akt« könnte man auch sagen: Anfang, Mitte und Ende. Jede Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Letztlich lassen sich alle Geschichten darauf reduzieren, auch Geschichten mit vier oder mehr Akten, denn die mittleren Akte sind dann stets nur eine Untergliederung des eigentlichen 2. Akts, eben der Mitte.
Und wir haben Übergänge, die entscheidende Wendepunkte in der Handlung darstellen: vom 1. in den 2. Akt (First Doorway) und vom 2. in den 3. Akt (Second Doorway). Auch die initial disturbance, die anfängliche Störung, ist letztlich so ein Übergang, und sie sollte in kommerziellen Romanen so nahe wie möglich am Anfang erfolgen, um den Leser von der ersten Seite an zu fesseln; in jedem Fall im 1. Kapitel. Als Faustregel für die Platzierung des Übergangs vom 1. in den 2. Akt gilt: sie sollte nach etwa 20 %, spätestens aber nach 25 % des Romanumfangs erfolgen. Gleichermaßen sollte der Übergang vom 2. in den 3. Akt nach ca. 75 bis 80 % erfolgen. D. h. Anfang und Ende sind jeweils deutlich kürzer als der Mittelteil. (Wie man diese lange Mitte mit Handlung, also Leben erfüllt, darüber sprechen wir später. Das ist ein wichtiger Punkt: Viele Romane haben in der Mitte einen »Durchhänger«. Wir wollen es besser machen.)
So viel zur Mythischen Struktur. Ich hoffe, Sie finden meine Ausführungen interessant; falls ja, würde ich mich freuen, wenn Sie den Link zu diesem Blog weiterverbreiten.
Vielen Dank und bis zum nächsten Mal,
Miguel
4. Das Thema des Romans (theme)
Ich befinde mich mit diesem Blog in einem nicht geringen Zwiespalt: Einerseits heißt der Blog »Ein Fantasy-Epos entsteht« und sollte seinem Namen Ehre machen, d. h. den Leser an der Entstehung eines Romans mit einem Umfang von ca. 500 Seiten teilhaben lassen. Andererseits: Wenn ich hier das komplette Handlungsgerüst veröffentliche, werden möglicherweise viele Leser davon absehen, den Roman zu kaufen, weil sie ihn dann ja schon gelesen zu haben glauben – was so nicht stimmt, denn es besteht grundsätzlich ein Riesenunterschied zwischen einem Exposé und dem daraus entstehenden Roman.
Ich habe lange überlegt, wie dieser Zwiespalt aufzulösen ist, und bin zu folgendem Entschluss gekommen: Ich werde einige der etwa zehn Hauptpersonen hier vorstellen, zusammen mit dem Haupt-Handlungsfaden, der sich um das eigentliche Thema des Romans dreht (über das wir gleich sprechen werden). Neben diesem Haupt-Handlungsfaden gibt es noch mehrere größere und einige kleinere Nebenhandlungsfäden, die miteinander verwoben sind und die ich in diesem Blog allenfalls andeute. Denn ein einziger Handlungsfaden – eine einzige Grundidee – reicht höchstens für einen Heftroman. Bereits bei einem Roman mit ca. 250 Seiten Umfang (wie es beispielsweise die Vampir-Gothic-Bände 12 bis 17 waren, die ich vor einigen Jahren zusammen mit Michael Breuer geschrieben habe) ist ein einziger Handlungsfaden zu wenig, typisch sind zwei oder drei. Wenn wir dagegen von einem wirklich dicken Taschenbuch sprechen (500 Seiten aufwärts), dann reicht auch das nicht mehr. Je größer der Umfang, desto mehr Handlung, desto mehr Handlungsfäden. Wenn man sich an diesen Grundsatz nicht hält, passiert das, was ich im letzten Blogeintrag angesprochen habe: das »Durchhängen« in der Mitte. Oft irrt der Held dann mehr planlos als zielstrebig von einer Herausforderung zur nächsten, um die beauftragten Seiten zu füllen.Das ist nicht das, was mir vorschwebt. Ich will einen stringenten Haupthandlungsbogen, in den sich die kleineren Handlungsbögen nahtlos einpassen. Und diesen Haupthandlungsbogen, der das Thema des Romans abbildet, will ich in diesem und den folgenden Blogeinträgen entwickeln. (Wie schon im ersten Blogeintrag gesagt: Ich bin ein »Planer«. Bevor ich mit der Niederschrift der ersten Seite beginne, will ich wissen, wohin die Reise geht, das spart Zeit und Nerven und führt meiner Überzeugung nach zu besseren Ergebnissen.)
Zunächst Allgemeines zum Thema eines Romans. Das ursprünglich griechische Wort Thema (engl. theme) hat im Deutschen mehrere Bedeutungen, darunter »Leitgedanke« oder »Leitmotiv«. Und genau darum geht es hier. Jeder gute Roman sollte einen Leitgedanken haben, der dem Leser allerdings nicht »mit der Dampframme« eingebläut werden sollte. Am effektivsten wird ein Thema behandelt, wenn es unterschwellig bleibt, also vom Leser nicht bewusst wahrgenommen wird, jedoch nach Beendigung der Lektüre gewissermaßen nachschwingt. Man kann auch sagen, im Leser werde eine Resonanz erzeugt. Diese Resonanz manifestiert sich als bleibender Eindruck, den der Leser sozusagen »mit nach Hause nimmt«, auch wenn er sich, wie gesagt, dessen nicht bewusst sein mag. Sie trägt oft dazu bei, dass er sich das nächste Buch des gleichen Autors ebenfalls kauft, weil er sich an die Lektüre des vorangehenden erinnert. (Mal ernsthaft: An wie viele der Bücher, die Sie im letzten Jahr gelesen haben, erinnern Sie sich noch?) Und vielleicht beeinflusst die Lektüre des Romans letztlich sogar die Geisteshaltung des Lesers.
Ein Thema könnte beispielsweise sein: »Man muss sich selbst besiegen, bevor man andere besiegen kann.« Oder: »Glaube und Liebe sind die höchsten menschlichen Werte.« Oder ein uraltes Sprichwort wie: »Was du nicht willst das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.« Oft fließt das Thema gar nicht bewusst in den Roman ein, weil es den Autor nur »unterbewusst« beschäftigt und er sich dieses Motors, der ihn antreibt, nicht gewahr ist. In anderen Fällen kristallisiert sich das Thema erst bei der Überarbeitung des fertigen Roman heraus. Es gibt, wie stets, viele Möglichkeiten.Da ich jedoch ein Planer bin – siehe oben –, lege ich das Thema zu Beginn fest. Es ist etwas, das mich schon lange beschäftigt: Warum folgen Menschen ihren Führern (ob nun selbst ernannt oder demokratisch gewählt) bis in den Untergang? Warum gehorchen zig Millionen Menschen völlig unsinnigen und dem Selbsterhaltungstrieb zuwiderlaufenden Befehlen einiger weniger? Warum lassen sie sich von deren (zahlenmäßig weit unterlegenen) Bütteln unterdrücken und sich gegeneinander ausspielen? Und warum verschließen sie bewusst die Augen vor den Gräueltaten dieser Massenmörder? (Und ich spreche nicht nur von der Vergangenheit. Jetzt, in diesem Augenblick, passiert so etwas auf allen Erdteilen.)
Ich bilde mir nicht ein, die Antwort auf diese Frage finden zu können. Aber es gibt eine Frage, die eng damit verknüpft ist: Muss das so sein? Und auf diese Frage gibt es eine klare Antwort, aber Mahatma Gandhi war einer der wenigen, die sie nicht nur gefunden haben, sondern auch über den Mut und das nötige Charisma verfügten, sie in der Öffentlichkeit zu verkünden: Nein, das muss nicht so sein. Denn wer ist es denn, der den Mächtigen ihre Macht verleiht? Sie selbst, durch ihren Intellekt oder ihre Taten? Oder wurde ihnen die Macht gar »von Gott gegeben«? Nein, die Menschen sind es, Sie und ich, die den Mächtigen ihren Macht verleihen, und zwar durch ihre (offene oder stillschweigende) Anerkennung dieser Macht und ihre freiwillige Unterwerfung unter diese. Wenn sie sich geschlossen gegen die Machthaber wenden würden, hätten diese keine Chance. Um einen alten Spruch abzuwandeln: Nicht nur in der Demokratie wählen sich die Kälber ihre Schlächter selber, sondern tatsächlich in jeder Staatsform.
Da man das Thema eines Romans in einem Satz zusammenfassen können sollte, formulieren wir es nun folgendermaßen: »Jedes Volk ist für seine Regierung letztlich selbst verantwortlich, zum Guten oder zum Schlechten.«
Wie setze ich dieses Thema nun in einen Roman mit abenteuerlicher Handlung um, ohne, wie gesagt, »mit der Dampframme« daherzukommen und den Leser bereits auf den ersten Seiten zu vergraulen: »Igittigitt, ein Roman mit Botschaft! Ein Kotzburger! Weg damit, ich will mich schließlich unterhalten!«
Nun, im Prinzip ist das ganz einfach: Ich erschaffe einen Helden (im nächsten Blogeintrag), der zu Beginn des Romans an die herrschende Ordnung glaubt, weil er nichts anderes kennt und sich auch nie Gedanken darüber gemacht hat. Im Verlauf der Handlung sieht er jedoch immer mehr Dinge, die ihm missfallen. Ein Mentor (Mythische Struktur) leitet seine Gedanken in die richtige Richtung, und zum Schluss ist es unser Held, der den Anstoß dazu gibt, den Herrscher zu stürzen. (Wohlgemerkt: Er stürzt den Herrscher nicht allein.)
Das klingt in dieser konzentrierten Form viel pathetischer, als es sein wird. Ich garantiere: Würden Sie den vollendeten Roman ohne Kenntnis dieser Überlegungen lesen, so würden Sie kaum etwas von der dahinterstehenden »Botschaft« bemerken. Aber wenn ich meine Aufgabe als Autor zufriedenstellend löse, würden Sie nach der Lektüre dem Thema »Die Macht des Volkes« vielleicht einige Gedanken widmen.
Wie schafft man es, diese Botschaft gut genug zu verstecken? Nun, im Prinzip lässt sich der oben angerissene Handlungsverlauf in einige wenige »Knotenpunkte« fassen: Der Held fühlt sich wohl in seiner Welt (Ausgangszustand) / Der Held wird beunruhigt / Der Held erträgt die herrschende Ungerechtigkeit nicht mehr / Der entscheide Anstoß, der Held wird zum Handeln gezwungen / Die Welt des Helden hat sich geändert (Endzustand). Jeder dieser Punkte ergibt im Roman eine einzige Szene – von vielleicht hundert oder mehr. Das sind gewissermaßen die Knochen, an denen das Fleisch (das Abenteuer) hängt. Doch wenn man erst einmal das Fleisch hinzugefügt hat, ist von den Knochen nichts mehr zu sehen, dennoch halten sie das Ganze zusammen.
Über diese »Knotenpunkte« – wie man sie definiert, wie man sie in die Handlung einbaut – sprechen wir in Kürze. Beim nächsten Mal jedoch geht es zunächst um »Helden, Bösewichte und Identifikationspersonen«. Bis dann!
5. Helden, Bösewichte und Identifikationspersonen (Teil 1)
Ein Freund von mir, Autor u. a. eines historischen Romans, erzählte mir einmal von einer Ablehnung, die folgendermaßen begründet war: Der Roman sei zwar sehr gut recherchiert und spannend geschrieben, jedoch von der Erzählhaltung her zu distanziert, weshalb es Lesern nicht möglich sei, sich in irgendeiner Form mit den Hauptfiguren zu identifizieren. Er fragte mich, wer um alles in der Welt sich mit historischen Personen, die noch dazu nicht übermäßig sympathisch waren, identifizieren möchte.
Einmal abgesehen davon, dass sich jeder Autor über eine begründete Ablehnung (die heutzutage extrem selten ist) freuen sollte, denn aus ihr kann er nur lernen, wird mit der Leseridentifikation das Wesen des Romans berührt. Für den historischen Roman (für mich die »Königsdisziplin«) gilt das Gleiche wie für alle anderen Romangattungen: Der Leser braucht Identifikationspersonen. Wenn in einem Roman nur abstoßende Schurken auftreten, wird das Interesse schnell erlahmen. Wenn aber ein unschuldiger Held oder eine unschuldige Heldin unter abstoßende Schurken gerät und unterzugehen droht, ist das Interesse sofort da. Ich als Leser kann mich sehr gut mit Edmond Dantès identifizieren, der erlittenes Unrecht rächt, und ebenso mit d’Artagnan, dem jungen Gascogner, der gemeinsam mit drei Musketieren in Staatsintrigen verwickelt wird, die ihn Kopf und Kragen kosten können. Hingegen kann ich mich mit nicht Massenmördern identifizieren, die aus persönlichen oder ideologischen Gründen (dazu zählen auch »religiöse« Gründe) ganze Landstriche entvölkern.
Also: Wir brauchen einen Helden und / oder eine Heldin, die gewisse Züge aufweisen, die sie uns sympathisch machen. Und das sind vor allem Charakterzüge, wohingegen die physische Erscheinung nicht immer eine bedeutende Rolle spielt. Man kann sich beispielsweise durchaus in einen Liliputaner hineindenken, dessen Liebe zu einer normal gewachsenen Trapezkünstlerin auf die übelste Weise ausgenutzt wird – wie in Tod Brownings Film Freaks von 1932. (Übrigens ein äußerst warmherziger Film, der keinesfalls in die Horror-Ecke gehört, in die er immer gerückt wird.) Aber natürlich fällt eine Identifikation leichter, wenn der Held bzw. die Heldin dem – physischen und psychischen – Idealbild nahekommt: »So wäre ich gerne! (Seufz.)« Ich weiß ja nicht, wie es mit Ihnen steht, aber meine Generation hat als Kinder noch Winnetou und Old Shatterhand gespielt, oder auch mal Kara ben Nemsi. Es hat ja einen Grund, dass die Bücher, in denen sie auftreten, auch nach über 100 Jahren noch gelesen werden: Es sind mustergültige literarische Identifikationspersonen, aus deren Ausgestaltung man eine Menge lernen kann. (Wer wird in 100 Jahren noch etwas mit dem Namen Harry Potter anfangen können?)
Soll der Held daher fehlerlos sein? Eher nicht. Die Identifikation fällt leichter, wenn er mindestens eine signifikante Schwäche hat, die sein Verhalten in bestimmten Situationen beeinflusst. In Alfred Hitchcocks Vertigo zum Beispiel kann James Stewart die Treppe eines Turms nicht erklimmen, als es darauf ankommt. Könnte er es, würde sich die Handlung in eine völlig andere Richtung entwickeln. Aber diese Schwäche hat nicht nur Einfluss auf die Handlung, sie trägt auch dazu bei, Jimmy Stewarts Figur sympathischer zu machen – menschlicher.
Soll der Bösewicht abgrundtief böse – und nur böse – sein? Diese Frage ist schwerer zu beantworten. Wenngleich man sich stets vor Schwarz-Weiß-Malerei hüten muss, geht doch kaum etwas über einen hassenswerten Bösewicht. Weist dieser jedoch keinerlei menschliche Züge auf, so mündet das in ein Glaubwürdigkeitsproblem. Hinzu kommt, dass der Bösewicht – ebenso wie der Held – über ein eigenes, konsequentes Wertesystem verfügen sollte, auch wenn es ein »verkorkstes« ist. Er sollte also »sich selbst treu« sein, wie man so schön sagt. Und dann ist da ja immer noch die Frage: Warum ist er so böse?
Oft sind die Bösewichte sogar interessantere Gestalten als die Helden und überschatten diese; das kann im Extremfall dazu führen, dass der Held farblos wirkt. Glauben Sie’s oder nicht: Auf 500 Seiten kann der Autor Tausende von Fehlern machen. (Und nur wer nicht arbeitet, macht keine Fehler. Denken Sie bitte daran, bevor Sie bei der nächsten Rezension einen Roman wegen ein paar Fehlern in der Luft zerreißen – oder schlichtweg deshalb, weil Sie etwas anderes erwartet haben. Der Autor ist nicht verantwortlich für Ihre Erwartungshaltung. Der Verlag allerdings kann durchaus falsche Erwartungen wecken, durch Titel, Covergestaltung, Klappentext, Werbung ... Aber dann ist der Autor das Opfer, nicht der Täter, und verdient Ihre Solidarität. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche!)
Nächste Frage: Soll man sich für einen Helden oder eine Heldin oder gar für beides entscheiden? Darauf lässt sich keine pauschale Antwort geben; sie hängt u. a. ab von der Zielgruppe und vom Genre, in dem man sich bewegt. Western haben typischerweise männliche Helden (natürlich gibt es auch solche mit Heldinnen, aber die sind deutlich in der Minderzahl), »Romance« typischerweise weibliche. Der Grund ist klar: Western wenden sich hauptsächlich an Männer, romantische Literatur hauptsächlich an Frauen. (Oh ja, es gibt durchaus Unterschiede zwischen Männern und Frauen, nicht nur physische, auch wenn die »McCarthy-FeministInnen« Jahrmillionen der Evolution mit einem Federstrich abschaffen zu können glauben.) Aber das Fantasy-Genre scheint keine so deutliche Präferenz zu haben, und als Zielgruppe habe ich im zweiten Blogeintrag mit voller Absicht »männlich und weiblich, Jung und Alt« definiert; schließlich soll die Zielgruppe so groß wie möglich sein.
Damit liegt die Lösung auf der Hand: Ich will einen Helden und eine Heldin. Und diese Wahl legt gleichzeitig den Grundstock für die dann (fast) unausweichliche Liebesgeschichte, die einen zweiten, kleineren Handlungsfaden bilden wird (neben dem Haupt-Handlungsfaden, den ich im letzten Blogeintrag festgelegt habe). Jeder liest eine gute Liebesgeschichte gern, sogar ich in meinem Alter, vorausgesetzt, sie drängt sich nicht allzu sehr in den Vordergrund. Täte sie das, hätten wir keinen »abenteuerlichen Fantasy-Roman« mehr, sondern »Fantasy-Romance«, und das ist etwas völlig anderes.
Wird es für die beiden ein Happy End geben? Natürlich! Aus zwei Gründen:
a) Das Identifikationsproblem: Das mit Romeo und Julia mag ja eine wirklich große Liebe gewesen sein, aber Hand aufs Herz: Würden Sie wirklich dafür sterben wollen? Keine Frau bzw. kein Mann ist das wert. Es gibt mindestens hundert bessere Gründe für einen Selbstmord. (So spricht ein seit zehn Jahren verheirateter Mann!)
b) Die Erwartungshaltung der Leser: Wenn in einem kommerziellen Roman (und ich betone hier das Wort kommerziell [engl. commercial fiction], in dem ich absolut nichts Ehrenrühriges sehe, ganz im Gegenteil) sich eine Liebesbeziehung abzeichnet, erwartet der Leser, dass »sie sich am Ende kriegen«. Wenn man als Autor diese Erwartung enttäuscht, braucht man verdammt gute Gründe dafür. Und trotzdem muss man gewärtig sein, dass der Leser das Buch in die Ecke pfeffert (oder das E-Book zurückgibt) und fürderhin nie wieder etwas kauft, auf dem der Name des Autors prangt.
Frage: Wo bleibt die Spannung, wenn wir bereits wissen, dass es ein Happy End geben wird? Ganz einfach: Im Weg zu diesem Ziel. Es wird kein »Ich kam, sah und siegte« geben, kein »Verliebt, verlobt, verheiratet«. Möglicherweise ist es Liebe auf den ersten Blick – das weiß ich im Moment noch nicht –, aber in jedem Fall werden die beiden gewaltige Hindernisse zu überwinden haben, bis sie zueinander finden können. Hindernisse, die sie an den Rand des Todes bringen werden.
Durch die Festlegung auf ein Happy End (wovon ja erst mal auch nur die Leser dieses Blogs wissen, die es natürlich niemals weitersagen würden) nehme ich die Spannung nicht etwa weg, sondern verlagere sie nur vom Ob auf das Wie. Denken Sie einfach an Ihre Lieblings-Fernsehserie: Sie wissen, dass der Held oder die Heldin die Folge überleben wird (schließlich will der Produzent auch nächste Woche noch die Werbe-Einnahmen kassieren), aber Sie sehen trotzdem jede Woche zu. Das Wie ist der entscheidende Punkt! Um nochmals auf Hitchcocks Vertigo zu sprechen zu kommen (für mich einer der besten Thriller, die je gedreht wurden): Im Gegensatz zur literarischen Vorlage hat Hitchcock sich dafür entschieden, das Mordkomplott bereits nach etwa zwei Dritteln des Films aufzudecken. War der Rest des Films damit uninteressant? Keineswegs. Hitchcock hat die Spannung nur verlagert, von »Was ist wirklich passiert?« zu »Wie geht es weiter?«. Nichtsdestotrotz gehörte (zumal damals) verdammt viel Selbstvertrauen und Mut dazu, das zu tun.
So viel für heute. Die Arbeit wartet ... Im nächsten Blogeintrag schreibe ich über die Bösewichte und anderen Handlungsträger der Geschichte. Wie stets würde ich mich freuen, Sie auch dann wieder als Leser begrüßen zu dürfen.
Miguel
6. Helden, Bösewichte und Identifikationspersonen (Teil 2)
Stellen wir uns mal ganz grundsätzlich die Frage: Was für Leute bzw. Rollen (engl. character) sollten in einer Geschichte auftreten, die mehr als, sagen wir, 100 Seiten umfasst?
Zunächst natürlich der Protagonist, volkstümlich (und von mir auch fürderhin) »Held« genannt. (Klar, das Wort Protagonist ist neutraler, aber da wir es in Fantasy durchaus mit »echten Helden« zu tun haben, bleibe ich bei diesem Wort.) Im letzten Blogeintrag hatte ich beschlossen, sowohl einen männlichen als auch einen weiblichen Helden einzuführen, und dies auch begründet.
Zweitens der Antagonist oder Gegenspieler, Bösewicht, wie auch immer Sie ihn nennen wollen. Dieser ist ebenso wichtig wie der Held und sollte mit der gleichen Sorgfalt gezeichnet werden. Ohne Gegenspieler gibt es keinen Konflikt, und ohne Konflikt keinen Roman, so einfach ist das. Wobei die Palette breit gefasst ist: Der Gegenspieler kann ein feindlicher König sein, ein aufgrund eines peinlichen Versehens beschworener Höllendämon, die böse Stiefmutter oder sogar ein Auto, alles schon dagewesen. Und natürlich kann der Gegenspieler auch die Natur sein, gegen die der Held sich behaupten muss.
Damit kann man den Rest des Personals in drei Gruppen aufteilen: Jene, die auf der Seite des Helden stehen (mehr oder weniger); jene, die auf der Seite des Gegenspielers stehen (mehr oder weniger); und schließlich die Indifferenten, die aber jederzeit auf die eine oder andere Seite »umkippen« können, abhängig von ihrem Charakter und den äußeren Umständen.
Einen aus der ersten Gruppe (auf der Seite des Helden) haben wir schon im dritten Blogeintrag erwähnt, als wir die sog. Mythische Struktur besprachen: den Mentor des Helden. Da ich mich zumindest grob an die Mythische Struktur halten werde, wird es in meinem Fantasy-Roman also einen Mentor geben, der dem Held zur Seite steht bzw. ihn beeinflusst (in seinem Sinn). Auch dieser ist einer der wichtigsten Handlungsträger. Oft agiert er nur im Hintergrund, nimmt dabei jedoch entscheiden Einfluss auf die Handlungen (und die Geisteshaltung) des Helden.
Auf der Seite des Helden steht ferner meist ein Sidekick, zu deutsch Kumpel. Auf den Sidekick kann sich der Held felsenfest verlassen, er geht mit ihm durch dick und dünn und lässt sich notfalls für ihn vierteilen. Außerdem fällt dem Sidekick oft die Rolle des Spaßvogels zu, der nach Szenen atemloser Spannung im wahrsten Sinne des Wortes für Entspannung sorgt. (Und das ist durchaus nötig. Wenn man ohne Atempause von Höhepunkt zu Höhepunkt jagt, so ist das beinahe ebenso schlecht, wie wenn man zu knauserig mit den Höheunkten umgeht.) Seine einzige Überlebenschance ist letztlich, dass der Autor ihn so sympathisch zeichnet, dass er es sich nicht leisten kann, ihn umzubringen, ohne sich den Zorn der Leser zuzuziehen.
Auch der Antagonist hat in der Regel mindestens einen bedeutenden Helfer, manchmal Contagonist genannt. (Der Begriff stammt aus Dramatica, nicht nur ein Computerprogramm, das Autoren beistehen soll, sondern eine komplette »Story-Theorie«. Näheres in englischer Sprache unter http://dramatica.com, wo man auch das voluminöse englischsprachige Handbuch kostenlos als PDF herunterladen kann. Kann hilfreich sein, vor allem für den Anfänger, benötigt jedoch eine längere Einarbeitungszeit.) Der Kontagonist hat durchaus seine eigene Agenda, die nicht immer mit der Agenda des Antagonisten parallel läuft. Die Überlebenschance des Kontagonisten – wie auch die des Antagonisten – tendiert gegen null.
Ansonsten erschafft man die Charaktere nach Bedarf. Wichtig dabei ist, dass jede Person eine andere dramatische Funktion erfüllt, also beispielsweise für ein anderes Wertesystem steht. Wenn ich zwei Charaktere habe, die stets einer Meinung sind, dann ist einer davon überflüssig und sollte entfernt werden. Typischer Fall: Eine Gruppe von Personen, die auf sich allein gestellt sind. Wenn die alle einer Meinung sind, ist das Ganze sinnlos. In solchen Situationen gibt der Autor jedem der Beteiligten einen anderen Charakter und Hintergrund, der ihn zum Stellvertreter bzw. »Platzhalter« für eine bestimmte Geisteshaltung, eine gesellschaftliche Strömung oder was auch immer macht – worum es eben in der Geschichte geht. Klassisches Beispiel dazu: Sidney Lumets Film 12 Angry Men (Die zwölf Geschworenen) von 1957.
Die Reise des Helden
Ich habe ein bisschen Platz übrig, also bringe ich noch ein Thema zur Sprache, das in diesen Rahmen gehört.
Für den Protagonisten einer Geschichte gibt es stets zwei Möglichkeiten: Entweder er verändert sich im Laufe einer Geschichte, oder er bleibt, wie er ist. Das mag nach Plattitüde klingen, ist jedoch eine der wichtigsten Entscheidungen, die der Autor treffen muss.
Im Allgemeinen wird es als »besser« erachtet, wenn der Held sich im Laufe der Geschichte (geistig) wandelt, aufgrund seiner in dieser Geschichte gemachten Erfahrungen im weitesten Sinn. Dies ist bei »literarischen« Romanen so gut wie immer der Fall, kommt aber auch in kommerziellen Romanen häufig vor. Wohlgemerkt: Wir sprechen hier von einem grundlegenden Wandel in seiner Geisteshaltung, nicht nur einer Änderung seiner Motive o. Ä.
James Bond ist das Paradebeispiel des Helden, der bleibt, wie er ist. Er erfüllt seine Aufgabe, die er selten oder nie hinterfragt, und macht keine wie auch immer geartete »Läuterung« (Katharsis) durch. Er geht in das nächste Abenteuer mit der gleichen Einstellung wie in das vorangehende. Das ist auch kein Wunder, denn er ist ein Serienheld. Serienhelden ändern sich selten, und der Leser, der den Protagonisten liebgewonnen hat, kann sich auf dessen Konstanz verlassen. Ausnahmen gibt es eigentlich nur, wenn ein Autor eine Serie allein schreibt; dann hat er die Möglichkeit, eine allmähliche Wandlung einzubauen. Wenn er dabei jedoch nicht vorsichtig zu Werke geht, riskiert er, dass ihm die Stammleser davonlaufen.
Für meinen Fantasy-Roman habe ich entschieden, dass der Held sich ändert. Wie bereits im vierten Blogeintrag über das Thema des Romans dargelegt, ist er zunächst von der bestehenden Ordnung überzeugt, wandelt sich jedoch im Lauf der Handlung zu einem Gegner dieser Ordnung, bis er schließlich dazu beiträgt, sie zu stürzen. Gleichzeitig wird der jugendliche Held durch diesen sich über vielleicht 500 Seiten hinziehenden Prozess zum Erwachsenen.
Wie zeigt man nun dem Leser so eine Änderung des Protagonisten? Auch das habe ich schon im vierten Blogeintrag angesprochen. In der Regel genügen vergleichsweise wenige Szenen:
- Ich zeige: Der Held fühlt sich wohl in seiner Welt (Ausgangszustand).
- Ich zeige: Der Held wird beunruhigt.
- Ich zeige: Der Held erträgt die herrschende Ungerechtigkeit nicht mehr.
- Ich zeige: Der entscheide Anstoß, der Held wird zum Handeln gezwungen.
- Ich zeige: Die Weltanschauung des Helden – und damit vielleicht sogar die Welt an sich – hat sich geändert (Endzustand).
(Mehr über Szenen später, wenn es ans Schreiben geht.) Der kritische Punkt hierbei ist die Glaubwürdigkeit. So eine Änderung kommt nicht über Nacht, und nicht nur, weil jemandem im falschen Moment eine schwarze Katze über den Weg läuft. Die Änderung muss gut vorbereitet sein; überdies muss es sich bei der Person, die sich ändert, um eine intelligente und einigermaßen weltoffene handeln. Sture oder gar dumme Menschen ändern sich nicht.
Das war’s für heute: Freuen Sie sich: Das nächste Mal beginnen wir mit dem Exposé!
Bis dann,
Miguel
7. Das Exposé (Teil 1): Vorarbeiten und erste Grundzüge
Jeder Roman beginnt mit der Ideensammlung, zumindest bei mir. Der Computer macht das ja so herrlich einfach: Jeder Roman bekommt sein eigenes Verzeichnis, in dem dann alle relevanten Dateien abgelegt werden: Exposé, Personenverzeichnis, Quellenverweise und -exzerpte, das Manuskript selbst etc. Natürlich auch der Text dieses Blogs. Manchmal lege ich auch Unterverzeichnisse an, typischerweise für verschiedene Überarbeitungen. Im Fall von Serien gibt es ein Unterverzeichnis für jeden Einzelroman, Serienexposé o. Ä. findet sich im Hauptverzeichnis.
Die Ideensammlung für den Fantasy-Roman, um den es hier geht, habe ich im Jahr 2007 begonnen. Das ist vergleichsweise lange; typischerweise liegen bei einem größeren Roman drei bis vier Jahre zwischen der ersten Idee und dem Beginn der Niederschrift (bei mir). Und in manchen Fällen vergehen auch danach noch mehrere Jahre bis zu einer gründlichen Überarbeitung: Das hängt u. a. davon ab, ob es eine Auftragsproduktion bzw. ein mit einem Verlag bereits abgesprochener Roman ist, oder ob ich ihn gewissermaßen »auf eigenes Risiko« schreibe (und mich anschließend auf die mühselige Suche nach einem Verlag begeben muss). Dieser Fantasy-Roman fällt in die Kategorie »abgesprochen«, da ich dem Verleger das Manuskript zugesagt habe. Das bedeutet, es werden nicht Jahre, sondern nur Monate vergehen bis zur Ablieferung des fertigen Textes. Es bedeutet ferner, dass ich einem gewissen Zeitrahmen unterworfen bin. Trödeln ist nicht, sonst steht Ärger ins Haus, nicht nur mit dem Verleger, sondern vielleicht auch mit Ihnen ...
Umso wichtiger ist eine vernünftige Planung. Wie ich bereits einmal bemerkte: Die Zeit, die ich in die Planung investiere, bekomme ich später mehrfach wieder herein, denn ich vermeide Irrungen und Wirrungen und damit langwierige und fehleranfällige Überarbeitungen. Je detaillierter die Planung, desto reibungsloser geht anschließend die Niederschrift vor sich, desto weniger Nacharbeiten sind erforderlich.
Und um diese Planung – die Erstellung eines Exposés, also eines mehr oder weniger detaillierten Handlungsablaufes – geht es nun. Über Jahre hinweg habe ich meine Ideensammlung erweitert, bis ich schließlich die Entscheidung fällte, den Roman zu schreiben. Die erste Aufgabe war nun, den Wust an zusammenhanglosen Ideen zu sichten und gewissermaßen die Spreu vom Weizen zu trennen. Und Spreu gibt es da stets genug; im Rückblick mag man kaum glauben, was man in irgendeinem bierseligen Moment für eine gute Idee hielt. (Schönes Beispiel: »Alle rätseln über die Bedeutung eines alten Textes. Da kommt einer vorbei, wirft einen Blick drauf, stößt einen spitzen Schrei aus – und kippt aus den Galoschen.« Das passt allenfalls in eine Horrorparodie, und für die gibt es keinen Markt – Kategorie »brotlose Kunst«.) Nebenbei bemerkt: Eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Autors ist es, eine gute Idee von einer schlechten unterscheiden zu können. Das ist nicht immer so einfach, wie es klingt.
Einige der Dinge, die ich mir im Lauf der Jahre für diesen Roman notiert habe:
- Das Dorf der Kinder: Alle Erwachsenen wurden deportiert.
- Ein Floß aus aufgedunsenen menschlichen Leichen.
- »Höher als des Menschen Türme sind die Throne der Götter.« (Klosterspruch aus Shigatse)
- »Der Hass der Frauen ist viel stärker und unversöhnlicher als jener der Männer.« (Torres’sche Weisheit)
- Tunnelbauer.
u. v. a. m.
Nur ein Teil der Ideen wird letztlich verwendet, denn nicht alles passt zusammen, und es ist kontraproduktiv zu versuchen, alles in einen Roman zu quetschen. Der Klosterspruch gefällt mir so gut, dass ich ihn in jedem Fall verwenden werde; vor meinem geisteigen Auge entsteht eine gewaltige Festung mit dem höchsten Turm, den die Menschheit je gesehen hat. Aber es ist das Schicksal aller Festungen, irgendwann zu fallen ... Das nur von Kindern bewohnte Dorf hat auch einiges für sich, denn man kann damit sehr schön die Brutalität des herrschenden Systems illustrieren. Die Punkte zwei und vier bleiben erst mal draußen, vielleicht kann man sie später in einem anderen Roman verwenden. Und dann ist da noch die Sache mit dem Tunnelbauer ...
Technikgeschichte hat mich schon immer interessiert, neben altrömischer Geschichte. Wie hat man es vor zwei oder mehr Jahrtausenden geschafft, Tunnel auf einer Länge von Hunderten von Metern von beiden Seiten gleichzeitig aufzufahren, und zwar so präzise, dass die beiden Stollen sich in der Mitte trafen? (Keine Sorge, ich gehe jetzt nicht ins Detail.) Außerdem ist mir niemals ein Roman in die Hände gefallen, in dem es um einen Tunnelbauer ging. Warum also, fragte ich mich, mache ich den Helden nicht zu einem Vertreter dieses Berufsstands? Oder besser noch (die erste Idee ist selten die beste): zum Gesellen eines Tunnelbauers, da es ja ein jugendlicher Held sein soll?
Das bietet eine Menge Möglichkeiten. Zum einen fällt es mir durch diese Wahl leicht zu zeigen, dass es sich bei unserem Helden um ein pfiffiges Kerlchen handelt; jeder Held sollte schließlich pfiffig sein. Und zum anderen kann ich seinen Chef, den alten, erfahren, aber auch verknöcherten Tunnelbauer benutzen, um gleich zu Beginn der Handlung einen Konflikt zu erzeugen: Alt gegen Jung, eingefahrene Verhaltensweisen gegen neue Ideen. Der junge Tunnelbauer hat andere Vorstellungen als der alte, und er sagt ihm dies auch. Damit lehnt er sich zum ersten Mal gegen die herrschende Ordnung auf, wenn auch in vergleichsweise kleinem Maßstab. Doch diese Auflehnung ist ungemein wichtig im Hinblick auf die spätere Wandlung unseres Helden, die ich im vorangehenden Blogeintrag dargelegt habe. Denn diese Wandlung darf ja nicht aus heiterem Himmel kommen (sonst ist sie unglaubwürdig), sondern muss gut vorbereitet werden. Mit dem Konflikt zwischen den beiden zeige ich gleich zu Beginn, dass der Held »seinen eigenen Kopf« hat, eigene Ideen, für die er notfalls zu kämpfen bereit ist – eine unabdingbare Voraussetzung für seine späteren Handlungen.
Fassen wir also zusammen, was wir bislang haben:
- Den jugendlichen Protagonisten, Geselle eines Tunnelbauers.
- Konflikt zwischen dem Protagonisten und seinem Chef, dem alten Tunnelbauer.
- Zu Beginn glaubt der Held an die herrschende Ordnung, wird jedoch im Lauf der Handlung immer skeptischer, bis er sich zu deren Gegner wandelt, der maßgeblich dazu beiträgt, das »Regime« – wie auch immer dieses aussieht – niederzureißen.
- Die jugendliche Heldin und die Liebesgeschichte zwischen den beiden.
Das ist doch schon mal ein Anfang. Bevor wir den Faden weiterspinnen, sollten wir uns jedoch Gedanken über den Handlungsrahmen machen, also den politischen und gesellschaftlichen Hintergrund, in dem sich die Romanhandlung abspielt. Darum kümmern wir uns das nächste Mal. Bis dann!
Miguel
8. Das Exposé (Teil 2): Der Handlungsrahmen
Im zweiten Blogeintrag, als es um die »Romanwelt« ging, habe ich die Geographie des Geländes, in dem sich die Handlung abspielen wird, grob umrissen: ein karges, teils wüstenähnliches Land, durchzogen von einigen wenigen Flüssen und begrenzt von Bergen, die im Wesentlichen aus Kalkstein bestehen. Kalkstein begünstigt die Bildung von Höhlen, und ich will, dass Höhlen eine gewisse Rolle spielen. Landschaftsdetails werden später festgelegt, teils im Exposé (soweit sie für die Handlung wichtig sind), teils erst bei der Niederschrift.
Über den gesellschaftlichen und politischen Rahmen hatte ich damals nur spärliche Angaben gemacht: »Die Gesellschaft ist eine weitgehend ländliche – Bauern und Viehzüchter –, und es gibt nur wenige Städte, darunter natürlich so etwas wie eine Hauptstadt. Allerdings ist die Gesellschaft zu Beginn des Romans im Umbruch begriffen, denn es herrscht Krieg.« Das gilt es nun zu präzisieren.
Warum herrscht Krieg? Weil sich zwei Nachbarn nicht einigen können, wem rohstoffreiche Landstriche gehören? Das ist natürlich eine Möglichkeit. Oder ist es ein »Glaubenskrieg«? Eher nicht. In der gesamten Menschheitsgeschichte hat es keinen wirklichen Glaubenskrieg gegeben; es ging stets um handfeste finanzielle bzw. Machtinteressen, wobei Glaube oder »Menschenrechte« oder was auch immer nur Scheingründe waren. (Warum wurde der amerikanische Bürgerkrieg angezettelt? Weil die Menschenfreunde im Norden das Leiden der armen, ausgebeuteten Schwarzen nicht mehr mitansehen konnten? Unsinn! Eine Gesellschaft, die Sklaverei erlaubt, kann viel billiger produzieren als eine Gesellschaft, die auf bezahlte Arbeitskräfte angewiesen ist -> der klassische Handelskrieg; Geld regiert die Welt. Vielleicht zerstört es sie eines Tages auch. Vielleicht sogar früher als erwartet ...)
Werfen wir mal einen Blick in die Geschichte, der lohnt sich immer, auch wenn offensichtlich niemand etwas daraus lernen will. Solange das Römische Reich expandierte, war alles bestens: Die Ausplünderung der eroberten Gebiete finanzierte nicht nur die dazu nötigen Truppen, sondern auch ein Leben in Wohlstand für fast alle römischen Bürger, deren Ansprüche explosionsartig anwuchsen (kostenlose Getreidezuteilungen, »Brot und Spiele« etc.). Die Probleme begannen, als die Expansion zum Stillstand kam. Der Gegendruck an den Grenzen nahm immer mehr zu und die Militärausgaben stiegen weiter an, ohne durch Beute kompensiert zu werden. Um die Grenzen zu schützen, mussten einstmals feindliche Stämme als Wächter rekrutiert werden, die dann natürlich ihr eigenes Süppchen kochten. Dazu kamen Verkehrs- und Verwaltungswege, die nicht mehr in Meilen, sondern in Wochen gemessen wurden. Dass dies auf Dauer nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand.
Was in Wirklichkeit Jahrhunderte dauerte, können wir im Roman durchaus straffen, schließlich schreiben wir ja keinen historischen Roman. Wie wäre es damit: Wir haben einen Herrscher (nennen wir ihn mal »König«), hart aber ungerecht. Vor Jahrzehnten hat er den alten König beseitigt und mit seinem Lebenswerk begonnen, nämlich nichts Geringerem als die Eroberung der bekannten Welt. Jetzt, zu Beginn der Romanhandlung, ist diese Eroberung zum Stillstand gekommen; das Reich droht, an seiner schieren Größe zu zerbrechen. Die Wege sind zu weit, die Front ist zu lang, der Gegendruck zu hoch. Ist an einem Grenzabschnitt Ruhe, flackert woanders der Krieg wieder auf. Die Militärausgaben fressen den Staatshaushalt auf, die Steuern werden unerträglich. Es fängt an, im Volk zu brodeln, auch wenn sich aus Angst vor drastischen Repressionen niemand gegen den Herrscher und seine Schergen zu stellen wagt.
Doch der Herrscher will all dies nicht wahrhaben. Er sieht nicht, dass seine Macht bröckelt. Seine jüngste Idee ist es, die lange Grenze seines Reiches durch eine gewaltige Mauer zu sichern. (Erinnert uns das an was? Römer und Chinesen hatten dieselbe Idee, und es hat letztlich nicht funktioniert.) Sträflinge (hauptsächlich politische) werden zur Arbeit an der Mauer verpflichtet, und als diese nicht ausreichen, geht man dazu über, Männer von den Feldern weg zwangszurekrutieren. Die Felder veröden, Hunger breitet sich aus, aber die Grenze hält ... noch ...
Mit diesem Hintergrund kann man schon einiges anfangen, denke ich. Und unser jugendlicher Held, der Tunnelbauergeselle, passt auch hinein: Sagen wir, er befindet sich zu Beginn des Romans an der Südgrenze des Reiches, wo gerade die Mauer gebaut wird. Es ist eine bergige Landschaft, und ein breiter und von Süden her unüberwindlicher Felssporn soll durchtunnelt werden, damit die Verteidiger der Mauer im Ernstfall schnell von einer Seite zur anderen gelangen können. Das Gebiet südlich der Mauer gehörte einst zum Reich, wurde dann jedoch von gegnerischen Kräften – nennen wie sie vorläufig mal »Barbaren« – zurückerobert. Täglich strömen Flüchtlinge aus dem Süden in Richtung Hauptstadt, und sie bringen schlechte Nachrichten: Die Barbaren sammeln sich in immer größeren Heeren. Es kann nicht mehr lange dauern, bis sie die Mauer einfach überrennen. Wobei kleinere Überfälle auf die Baustellen an der Tagesordnung sind.
Die Arbeit am Tunnel geht nur langsam voran, und der im letzten Blogeintrag angesprochene Konflikt zwischen dem alten Tunnelbauer und seinem Lehrling entzündet sich an der Idee unseres Helden, den Tunnel von beiden Seiten aufzufahren.
Aber das reicht noch nicht für einen packenden Anfang. Wenn ich mich seitenweise über den Konflikt der beiden auslasse, fragt sich der Leser bald »Was soll’s?« und legt das Buch weg bzw. er kauft es gar nicht erst. Die erste Seite ist absolut kritisch im Hinblick auf eine Kaufentscheidung, neben Covergestaltung Titel und Klappentext – aber darauf hat der Autor in der Regel keinen großen Einfluss. Umso mehr Sorgfalt muss er in das legen, was er beeinflussen kann, und das ist ausschließlich der Text. Im Zeitalter der Internetbuchhändler und des »Blick ins Buch« trifft das umso mehr zu.
Also verschieben wir den Konflikt auf später, wenn der Leser den Helden besser kennengelernt hat, und überlegen uns für den Anfang etwas Aufregenderes – im nächsten Blogeintrag ...
Miguel
9. Das Exposé (Teil 3): Der Romanbeginn
Keine Sorge, ich habe nicht die Absicht, hier die komplette Romanhandlung zu entwickeln. Das würde nicht nur zu viel Zeit und Raum einnehmen, sondern wäre auch kontraproduktiv. Schließlich will ich nicht nur aufzeigen, wie so etwas gehandhabt wird, sondern Sie auch neugierig genug auf den Roman machen, dass Sie bereit sind, die paar Kröten dafür zu berappen und mir damit ein halbwegs menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Und dem Verleger, nicht zu vergessen. Und dem Drucker und seiner vielköpfigen Familie, dem Titelbildgrafiker, dem Layouter, dem Lektor, dem Steuerprüfer ... und last but not least dem größten Nimmersatt von allen: dem Großhändler, der (mindestens) 50% vom Netto-Verkaufspreis (d. h. Verkaufspreis ohne Mehrwertsteuer) kassiert. Das nur zwischendurch mal zu dem Thema, warum Bücher Geld kosten, warum auch E-Books Geld kosten, die nicht gerade von Hobby-Autoren selbst herausgegeben werden, ohne Lektorat und Qualitätskontrolle. Warum »Flatrate-E-Books« der Tod von qualitativ hochwertiger Literatur sind. Der Bäcker von nebenan will vielleicht nichts für ein E-Book bezahlen – ein PDF ist schnell kopiert –, aber wehe, wenn jemand mit einer Semmel davonrennt, dann schreit er sofort nach der Bollizei!
Und da wir gerade bei persönlichen Anmerkungen sind, erlauben Sie mir noch eine, auch wenn sie off topic ist, wie man neudeutsch so schön sagt: Mein Katzenroman »Katzenwesen« ist – unter dem Pseudonym Torsten Weigand – im November im Mariposa-Verlag, Berlin, als Taschenbuch und E-Book erschienen (siehe nebenstehenden Link). Wie ich in meinem allgemeinen Blog geschrieben habe, bedeutet mir der Roman sehr viel, und darüber hinaus halte ich ihn für einen meiner besten Romane (für den schönsten sowieso). Wenn Sie Katzen lieben, möchten Sie vielleicht mal einen Blick hineinwerfen ... passt auch hervorragend auf den Gabentisch ...
Aber nun endlich zurück zu unserer Geschichte. Wir wollten ja heute über den Auftakt des Romans sprechen, über die so wichtige erste Seite. Die Zeiten, da man mit endlosen Landschafts- oder Stimmungsbeschreibungen beginnen konnte oder gar mit der geologischen Geschichte des Schauplatzes, wie es der (für mich immer noch) große James A. Michener oft gemacht hat, sind vorbei: Der Leser von heute hat, so scheint es, keine Zeit mehr, sich in Ruhe in eine Geschichte »einzulesen«, er will action, am besten gleich im ersten Satz. Ob diese dann logisch ist, scheint nicht so wichtig ... Ob Sie’s glauben oder nicht, eine bei GOTT AMAZON erschienene Lesermeinung (mir sträubt sich die Tastatur, diese Machwerke »Rezensionen« oder gar »Kritiken« zu nennen, was beides das minimale Vorhandensein von Sachverstand impliziert) zu einem meiner Romane lautete einmal sinngemäß so: »Der Roman hat keine erkennbare Handlung. Ich habe das Buch nach 4-5 Seiten in die Mülltonne entsorgt.« Immerhin war das einer der extrem seltenen Fälle, wo sich GOTT AMAZON des geplagten Autors erbarmt und die Rezension, sorry: Lesermeinung auf dessen Anforderung hin gelöscht hat. Aber normalerweise erhört GOTT AMAZON solches Flehen seiner Schreibsklaven nicht, die Leute dürfen ungestraft den größten Unsinn veröffentlichen. Das nennt man wohl »Narrenfreiheit«. Doch ich schweife schon wieder ab ...
Wie wäre es, wenn wir den jugendlichen Helden und die jugendliche Heldin gleich zu Beginn einführen? Der Leser ahnt die sich anspinnende Liebesgeschichte und ist (hoffentlich) interessiert. Aber schlendert oder reitet das Mädchen einfach so durch Gegend, weil ihm langweilig ist? Sehr wahrscheinlich, aber im Roman unmöglich. Daher ist es auf der Flucht vor den Barbaren, gemeinsam mit seinem Vater und andern Mitgliedern einer kleinen Flüchtlingskarawane. Und diese Karawane wird natürlich prompt von Barbaren überfallen, die sich gerade zu einem Angriff auf die Baustelle sammeln. Die Leute aus der Karawane haben die Barbaren entdeckt, was diese zum Handeln zwingt.
Und da kommt unser Held ins Spiel, der das natürlich mitbekommt und nicht zögert, das Mädchen unter Einsatz seines Lebens zu retten. Das zeigt dem Leser bereits bei seinem ersten Auftritt eine wichtige Facette seines Charakters: Er ist entschlussfreudig und mutig.
Und was macht das Mädchen? Rennt es schreiend davon, die scream queen des Fantasy-Romans? Na, zum einen wäre das nicht ganz zeitgemäß (und wir wollen doch nicht die weiblichen Leser vergraulen und uns damit um deutlich mehr als die Hälfte der voraussichtlichen Buchkäufer bringen). Und zum anderen: Wäre so eine »Heldin« unseres mutigen und entschlussfreudigen Helden würdig? Wohl kaum. Also nutzen wir die Gelegenheit, das Mädchen ebenfalls als tapfer und wehrhaft einzuführen. Ganz im Gegensatz zu seinem Vater; der ist es nämlich, der schreiend davonläuft. Damit ist dessen Charakter ebenfalls bereits zu Beginn angerissen.
Da kommt mir gleich noch eine Idee, die ich vielleicht später im Hauptteil des Romans benutzen kann: Da wir einen Helden und eine Heldin haben, die einander ebenbürtig sind, was Entschlossenheit und Tatkraft anbetrifft, könnte durchaus einmal eine Situation eintreten, in der sie ihn rettet. Das wäre dann eine nette Spiegelung der Auftaktszene. Überhaupt sind solche sogenannten Vor- und Rückwärtsreferenzen ein weiteres Mittel, den Roman zu würzen. Nicht jeder Leser wird diese Spiegelungen erkennen, aber wenn er aufmerksam genug ist, erhöht sich in jedem Fall das Interesse.
Zwischendurch noch ein Wort der Warnung: Ein Beginn mitten in der action ist ein zweischneidiges Schwert. Ich erinnere mich (hoffentlich korrekt) an den Beginn von Star Wars: Episode I, den ersten Film der zweiten Dreierstaffel: Zwei Typen kämpfen mit ihren Laserschwertern gegeneinander. Das geht eine Weile hin und her – und dann habe ich ausgeschaltet, was letztlich dazu führte, dass ich alle drei Filme niemals gesehen habe. Warum habe ich ausgeschaltet? Na, was interessieren mich zwei Typen, die sich beharken? Ich bin emotional nicht involviert, ich habe keine Ahnung, zu welchem der beiden ich halten soll. Ich kann nicht mitfiebern, denn das Duell lässt mich kalt. Wenn das am Anfang eines Romans passiert, schaltet der Leser ab – aus, vorbei, ein nicht verkauftes Exemplar, oder noch schlimmer: eine miese Rezension, und zu Mittag gibt’s wieder mal nur Reissuppe vom eigenen Feld, würg ... Für den Romanbeginn bedeutet das: Ich muss unbedingt darauf achten, dass der Leser sehr schnell erkennt, wer der oder die »Gute« bzw. der »Held« / die »Heldin« und damit seine Identifikationsperson ist.
Um die Handlung weiterzuspinnen: Der jugendliche Held rettet also gleich zu Beginn die jugendliche Heldin und ihren alles andere als heldenhaften Vater. Möglicherweise ist es Liebe auf den ersten Blick (so etwas gibt es tatsächlich, nicht nur im Roman ;-), aaaaaaber damit beginnen erst die Probleme. Denn natürlich können die beiden sich nicht im ersten Kapitel »kriegen«, sondern allenfalls im letzten. Daher ist es eine »unmögliche« Liebe, nämlich die einer reichen Kaufmannstochter und eines armen Tunnelbauergehilfen, und ihr Vater, der Kaufmann, wird schon darauf achten, dass seine Tochter, die er wie alles andere als Handelsware betrachtet, »standesgemäß« heiratet. Tatsächlich sind die beiden auf dem Weg in die Hauptstadt, wo das Mädchen den Berater des Königs ehelichen soll. Das ist die »Agenda« des Vaters, das Ziel, auf das er jahrelang hingearbeitet hat und von dem er sich nicht durch einen, wie er den Helden nennt, »hergelaufenen Rotzbengel« abbringen lässt. Und in dieser Situation trifft ein Bote des Königs ein und zitiert den Tunnel- und Brunnenbaumeister (also den Chef unseres Helden) ebenfalls in die Hauptstadt, wo die kriegswichtigen Brunnen der Zitadelle trocken gefallen sind ...
Soweit der Anfang, d. h. die ersten 2 oder 3 Kapitel (von insgesamt vielleicht 70 oder 80). Das klingt jetzt, als ob sich der ganze Roman um die Liebesgeschichte drehe, aber tatsächlich ist diese nur ein subplot, eine Nebenhandlung, wenn auch eine wichtige. In der Hauptsache geht es um den jugendliche Helden, seine – innere und äußere – Reise ins Zentrum der Macht und seine dortigen Erlebnisse, während sich der Ring der Barbarenkrieger langsam enger um das Königreich schließt und rechtzeitig zum Höhepunkt des Romans ebenfalls die Hauptstadt erreicht. Die Wege des Helden kreuzen dabei einprägsame Gestalten, von denen ich hier nur zwei kurz anreißen will:
1. Ein immer wiederkehrendes Romanmotiv ist die Rache oder der »einsame Rächer«, der beispielsweise die Mörder seiner Familie sucht und zur Strecke bringt. Fast alle dieser Romane enden mit dem letzten Duell (das der einsame Rächer natürlich gewinnt), kaum einer geht darüber hinaus. Aber genau dieses Danach ist es, das mich interessiert: Was macht dieser einsame Rächer nach Vollendung seiner Rache? Lebt er glücklich und zufrieden bis an sein seliges Ende? Oder irrt er weiterhin umher, ein ewiger Wanderer auf der Suche nach einem Sinn für sein mit der Vollendung der Rache sinnentleertes Leben? Ich denke, Letzteres ist der Fall, und deshalb wird diese Figur eine wichtige Rolle im Roman spielen.
2. Wir sprachen den »Mentor« des Helden bereits an. Als »weiser Mann« weiß er, dass er nichts weiß ... und ist somit ständig auf der Suche nach Wissen. Es gibt eine uralte Legende von »Verlorenen Büchern«, die das Wissen der Vorfahren enthalten und »von den Göttern selbst« bewacht werden sollen. Mit diesem Wissen, denkt der Mentor unseres Helden, könnte man das Leben der Menschen verbessern, ihnen die Arbeit erleichtern, Krankheiten heilen etc. Seit Jahrzehnten jagt er blindlings dem Traum nach, die verlorene Erkenntnis wiederzufinden, und übersieht dabei, dass er selbst in dieser Zeit auf seinen vielen Reisen einzigartiges Wissen angehäuft hat, mit dem vielen Menschen geholfen werden könnte. Ist er also wirklich weise – oder nur klug? Und ist er letztlich in der Lage, den Unterschied zu erkennen?
Tatsächlich könnte man als Thema des Romans auch die Suche nennen, denn jede der Hauptfiguren sucht etwas anderes: Liebe, Reichtum, Macht, soziale Stellung und Sicherheit, Gerechtigkeit, Wissen, Erkenntnis. Das sind alles tief verwurzelte Sehnsüchte, die jeder nachvollziehen kann, mithin starke Motive für die handlungstragenden Charaktere. Und diese so unterschiedlichen Motive führen naturgemäß zu Konflikten, die in der Lage sind, Freundschaften zu zerbrechen und tödliche Feindschaften zu begründen. Nicht jeder dieser Suchenden kann letztlich fündig werden, und auch wenn er sein Ziel erreicht, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er dadurch glücklich wird ...
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fertiggestelltes Umlaufcover: Stefan Böttcher, Gerlingen
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